ÄTHIOPIEN
EIN LAND MIT VIELEN URSPRÜNGEN

Äthiopien, bis 1974 als Abessinien bekannt, ist eines der ältesten, vielfältigsten und kontrastreichsten Länder der Welt. Seine mehr als zweitausendjährige Geschichte reicht bis in die Antike zurück. Äthiopien ist eines von nur zwei Ländern in Afrika, die nie kolonialisiert wurden, und es ist das einzige durchgehend unabhängige Land Afrikas. Äthiopien steht für viele andere afrikanische Länder als Symbol für Selbstbewusstsein, Widerstand und Unabhängigkeit und wird oft als die Mutter Afrikas bezeichnet. Seine Kultur und Traditionen wurden nie gewaltsam verändert oder gar zerstört. Äthiopien ist auch eines der ältesten christlichen Länder der Welt. Bereits im vierten Jahrhundert wurde das Christentum zur offiziellen Staatsreligion des Abessinischen Reiches. Viele christliche Bräuche und Traditionen werden heute noch weitgehend so praktiziert wie vor Hunderten von Jahren.

Aber auch das weltberühmte fossile Skelett von Lucy (Überreste von Australopithecus afarensis) und andere Fossilienfunde zeigen: Äthiopien ist alt, uralt und wird zu Recht als „Wiege der Menschheit“ bezeichnet. Denn die kleine, zierliche Dame beweist, dass die Menschheitsgeschichte hier vor 3,2 Millionen Jahren begann. „Lucys“ richtiger Name ist übrigens Dinkinesh, was auf Amharisch „Du bist wunderbar“ bedeutet. Der Spitzname „Lucy“ kam zustande, weil die Wissenschaftler, die sie ausgruben, damals den Beatles-Song „Lucy in the sky with diamonds“ in Dauerschleife spielten. Lucy ist in Äthiopien eine Ikone, fast jedes Kind kennt sie. Sie wird gefeiert und hat auch der nationalen Frauenfussballmannschaft den Namen „Lucy Team“ eingebracht.

Äthiopien ist ein Binnenstaat am Horn von Afrika im Nordosten des Kontinents und grenzt an Somalia, Kenia, Südsudan, Sudan, Eritrea und Dschibuti. Es ist etwa dreimal so gross wie Deutschland. Fünf Prozent der Gesamtfläche des Landes liegen 3500 Meter über dem Meeresspiegel. Die höchste Erhebung des Landes ist der Berg Ras Dashen mit 4550 MüM. Aber auch einer der tiefsten und heissesten Orte der Erde, die Danakil-Senke, die 125 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, befindet sich hier in Äthiopien. Die unterschiedlichen Höhenlagen sind verantwortlich für drei Klimazonen. Bis zu einer Höhe von etwa 1500 Metern, hauptsächlich im Norden und Osten des Landes, liegt die tropisch heisse Zone, die von den Einheimischen Qolla genannt wird. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei 27 Grad oder höher. Zwischen 1500 und 2500 MüM liegt die warm-gemässigte Zone (Woyna Dega).

Sie befindet sich im Zentrum Äthiopiens. Die Durchschnittstemperaturen liegen hier zwischen 20 und 25 Grad. In noch höheren Lagen ist das Klima kühl mit einem Jahresdurchschnitt von etwa 16 Grad (Dega). In Höhenlagen über 3900 MüM kann es auch zu Nachtfrösten und Schneefällen kommen.

Es gibt, wie bei vielen Ländern in Äquatornähe, nur zwei Jahreszeiten: die Regenzeit, welche von Juni bis September dauert, wenn der Südostpassat mit feuchter Luft aus dem Indischen Ozean für grosse Niederschläge sorgt, und die Trockenzeit von Oktober bis Mai, in der es fast gar nicht regnet. Addis Abeba ist die höchstgelegene Hauptstadt Afrikas mit einer Höhe zwischen 2200 und 3000 Metern.

Äthiopien ist nicht nur geologisch betrachtet ein einzigartiges Land, sondern auch wegen seiner vielfältigen Kulturen, Ethnien und Sprachen. Je nach Definition gibt es in dem Land zwischen 80 und 100 verschiedene ethnische Gruppen. Zu den grössten Volksstämmen gehören die Oromo, Amhara und Tigray. Die Gesamtbevölkerung wird auf mehr als 117 Millionen Menschen geschätzt (Stand 2022).

Die Einwohnerzahl von Addis Abeba allein beläuft auf geschätzte 5,3. Von der Gesamtbevölkerung leben mehr als 80 % in ländlichen Gebieten und sind überwiegend von der Landwirtschaft abhängig. Trotz seines Potenzials und seiner Ressourcen gehört das Land zu den am wenigsten entwickelten Nationen und ist durch eine hohe Prävalenz von Armut und Ernährungsunsicherheit gekennzeichnet.

In Äthiopien ticken die Uhren im wahrsten Sinne des Wortes anders. Der äthiopische Kalender ist eine Variante des koptischen Kalenders und hat 13 Monate anstelle von zwölf. Die ersten zwölf Monate haben jeweils 30 Tage, der 13. Monat nur fünf (sechs in Schaltjahren). Das Kalenderjahr beginnt am 11. September mit dem Neujahrsfest Enkutatash, was so viel wie „Geschenk der Juwelen“ bedeutet. Das äthiopische Neujahrsfest soll auf die Zeit zurückgehen, als die Königin von Saba 980 v. Chr. von ihrem Besuch bei König Salomon in Jerusalem zurückkehrte. Die Königin wurde in ihrem Land mit einer Fülle von Juwelen willkommen geheissen, die auf Amharisch „enku“ heissen. Das Ende der Regenzeit wird ebenfalls mit Enkutatsh gefeiert, und überall in der äthiopischen Landschaft leuchten zu dieser Zeit wunderschöne gelbe Blumen, die als Körperschmuck oder zur Dekoration verwendet werden.

Der äthiopische Kalender liegt etwas mehr als sieben Jahre hinter dem Gregorianischen zurück. Wenn Sie also das Land besuchen, sind Sie mindestens 7 Jahre jünger…. Aber auch die Uhren gehen in Äthiopien anders. Da das Land in der Nähe des Äquators liegt, sind die Tage und Nächte das ganze Jahr über etwa gleich lang. Die Tage sind in 12 Tagesstunden und 12 Nachtstunden eingeteilt. Der Tag beginnt mit dem Sonnenaufgang um 6 Uhr morgens unserer Zeit. Im ganzen Land gibt es eine „Koexistenz“ beider Kalender und Zeiten. Stellen Sie nur sicher, dass jeder darüber im Bilde ist, welche Zeit oder welches Datum gemeint ist.

In Äthiopien gibt es neun von der UNESCO anerkannte Weltkulturstätten: Aksum, Fasil Ghebbi in der Region Gondar, die historische Stadt Harar, die Kulturlandschaft in Konso, das untere Awash- und das Omo-Tal, die in Fels gehauenen Kirchen in Lalibela, Tiya und der Simien-Nationalpark. Auf der vorläufigen Liste stehen der Bale Mountains National Park, die religiöse, kulturelle und historische Stätte Dirre Sheik Hussein, die heiligen Landschaften von Tigray, Melka Kunture und Balchit, die Kulturlandschaft von Gedeo, das kulturelle Erbe von Yeha und die Inselklöster im Tane-See. Es gibt unglaublich viel zu sehen und zu bestaunen, aber Äthiopien ist kein Land für Pauschaltouristen, das steht fest.

Hier ist das Reisen immer noch ein Abenteuer, denn es fehlt an vielem, was der durchschnittliche Tourist benötigt. Ausserdem ist alles ziemlich teuer, was viele potenzielle Touristen überraschen dürfte. Vieles, was Reisende brauchen, muss importiert oder mühsam transportiert werden und guter Service und Kosten halten sich hier oft nicht die Waage.Dennoch hat der „Lonely Planet“ Äthiopien 2019 unter die Top 10 Reiseländer der Welt gesetzt. Und das zu Recht!

Noch vor zwei Jahren, im Jahr 2020, war Äthiopien eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Selbst im Coronajahr betrug das Wirtschaftswachstum 6 Prozent. Doch der Bürgerkrieg in Tigray und bewaffnete Konflikte in anderen Regionen Äthiopiens torpedieren zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Eine Inflationsrate von fast 35 % im Jahr 2022 stürzt das Land in einen dramatischen Abschwung, dessen Ende nicht absehbar ist. Äthiopien verfügt über wenig Industrie, gewinnt aber Bodenschätze wie Gold, Mangan, Platin, Kupfer, Pottasche Erdgas Erdöl, über deren Grössenvorkommen es sehr unterschiedliche Einschätzungen gibt. Exportiert werden u.a. Ölsaaten, Hülsenfrüchte, Blumen, die aufputschende Droge Khat, Leder und Lederwaren, Gold und natürlich Kaffee. 

Dieser ist ohne Frage das wichtigste Exportgut des Landes, wobei Deutschland der grösste Kaffeeimporteur ist.In Äthiopien selbst ist die Landwirtschaft der wichtigste Wirtschaftszweig. Die landwirtschaftliche Produktion ist für die Ernährungssicherheit in Äthiopien verantwortlich. Vier Fünftel der äthiopischen Bevölkerung sind in diesem Sektor beschäftigt. Es besteht eine starke Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten, da nicht soviel produziert werden kann, wie gebraucht wird, um die Bevölkerung zu ernähren. Naturkatastrophen wie 2020 die Ostafrikanische Heuschreckenplage oder Dürreperioden und Überschwemmungen führen schnell zu Hungersnöten von enormen Ausmass.

Äthiopien ist das Ursprungsland des Kaffees und weltberühmt für seine verschiedenen Kaffeesorten. Kaffee in Äthiopien wird meist in natürlichen Waldgärten geerntet und in der Sonne getrocknet. Die verschiedenen Sorten sind nach den Herkunftsregionen benannt, wie z. B. Yirgacheffe, Sidamo und Limu. Die meisten Kaffees kommen aus den Bergregionen östlich der Hauptstadt Addis Abeba und werden Harrars genannt – nach der dort gelegenen Stadt. Die gewaschenen und wilden Kaffeesorten stammen aus dem Hochland, den Bergregenwäldern im Südwesten Äthiopiens. Die wilden Kaffeebäume tragen ihre roten Früchte etwa neun Monate nach der Blüte. Im Inneren der Kaffeekirschen befinden sich zwei Samen – die grünen Kaffeebohnen, die die Grundlage für das beliebte Heissgetränk bilden. Während trocken aufbereitete Kaffees aus der Harar-Region unverwechselbar und geheimnisvoll schmecken, sind die gewaschenen Kaffees des Landes einfach elegant: Ihr Aroma ist hell, hochtonig, mit Zitronen- und Blumennoten. Das gemeinsame Kaffeetrinken ist ein wesentlicher Bestandteil der äthiopischen Kultur und Tradition und wird etwa dreimal am Tag als Ritual der Freundschaft, des Zusammenkommens und des Teilens durchgeführt. Dabei gelten strenge Regeln. Die Kaffeezubereitung beginnt mit dem Waschen und sorgfältigen Trocknen der grünen, rohen Bohnen, die dann in einer Pfanne über dem Feuer geröstet werden.

Mit einem Eisenhaken und einem Metallsieb werden die Bohnen hin und her gerührt und gleichmässig geröstet, bis sie herrlich aromatisch duften. Das Sieb mit den gerösteten und dampfenden Bohnen wird im Kreis herumgereicht, und jeder, der an der Zeremonie teilnimmt, fächelt sich das wunderbare Aroma zu und lobt es deutlich.Anschliessend werden die gerösteten Bohnen in einem Mörser zerstossen (nicht gemahlen!), während Wasser in einer so genannten „Jebena“, einem bauchigen Tongefäss, erhitzt wird. Sobald das Wasser kocht, wird das Kaffeepulver in die Öffnung des schlanken Halses der Kanne geschüttet und aufgekocht. Danach muss sich der Kaffeesatz absetzen und wird dann in einem dünnen Strahl aus etwa 30 cm Höhe in die henkellosen Kaffeeschalen geschüttet. Oft werden dem Kaffee Wildkräuter beigegeben oder er wird mit Butter und Salz verfeinert. Während einer Kaffeezeremonie müssen drei Tassen Kaffee getrunken werden. Jede Tasse Kaffee hat eine besondere Bedeutung. Die erste wird Abol genannt und ist die stärkste Tasse Kaffee. Sie wird nur zum Genuss getrunken. Die zweite, etwas schwächere Tasse heisst Tona und schenkt Zeit, um über Probleme und Sorgen zu sprechen. Bereka, die dritte Tasse, dient dazu, alle Anwesenden zu segnen. Es gilt als unhöflich, die Zeremonie zu verlassen, ohne mindestens drei Tassen getrunken zu haben.

Injera ist ein saures, fermentiertes, Pfannkuchen ähnliches Fladenbrot mit einer leicht schwammigen Konsistenz, das in speziellen Öfen gebacken und normalerweise kalt gegessen wird. In Äthiopien ist Injera das Grundnahrungsmittel, wie es anderswo Reis, Brot oder Kartoffeln sind. Ein Tag ohne Injera ist kein guter Tag für einen Äthiopier. Die Grundlage von Injera ist Teff, eine Zwerghirse, in Äthiopien endemisch. Injera wird normalerweise mit scharfen Fleischsaucen oder vegetarischen Saucen (wot) in Gemeinschaft gegessen. Gemeinsam zu essen bedeutet, mit den Händen von einem Teller zu essen oder sogar gefüttert zu werden. Dieser Brauch wird gursha genannt, was „mundvoll“ bedeutet und ist eine Art, jemanden eine besondere Ehre zu teil werden zu lassen.

Teffgetreide wird in Äthiopien seit Tausenden von Jahren angebaut. „Teffa“, das amharische Wort für Teff, bedeutet  „verloren“ – was nicht verwundert, denn ein Teffkorn ist nur so gross wie ein Sandkorn und geht oft bei der Ernte und beim Dreschen verloren. Teff ist glutenfrei, reich an Proteinen, Ballaststoffen und Mineralien. Es kann helfen den Blutzuckerspiegel zu regulieren, den Appetit zu zügeln und dadurch die Gewichtsabnahme zu unterstützen. Es beschleunigt den Verdauungsprozess, liefert mehr Kalzium als die meisten anderen Getreidesorten, regeneriert Muskeln, Gewebe und Gelenke und wirkt entzündungshemmend. Teff avanciert seit geraumer Zeit im europäischen Raum zum regelrechten Super Food.